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21. März Internationaler Tag gegen Rassismus

Anlässlich des 21. März, den Internationalen Tag gegen Rassismus, veröffentlichen wir diesen Artikel aus dem Jahrbuch Mission 2024 (erscheint im Juni) mit  freundlicher Genehmigung der Evangelischen Mission Weltweit (EMW) in Hamburg vorab. Er bezieht sich vor allem auf Rassismen und VorUrteile in der ökumenischen Nord-Süd-Partnerschaftsarbeit, aber er gibt auch Impulse für nichtkirchliche Akteure. 

English Version here: Racism. Prejudice. Encounter. Looking at (ecumenical) North-South partnerships

 

Rassismus. VorUrteile. Begegnung. 

Blick auf (ökumenische) Nord-Süd-Partnerschaften

Am Thema Rassismus kommt man nicht mehr vorbei, und das ist gut so. Eine längst notwendige Debatte über globale Ungleichheit und Kolonialgeschichte kommen im Mainstream an. Und auch die Erkenntnis, dass Rassismus mehr als „Fremdenhass“ ist, nicht nur ein rechtsradikales Gedankengut der Vergangenheit, sondern ein strukturelles, über Jahrhunderte gewachsenes Konstrukt, das Ungleichheiten fortschreibt, privilegiert und diskriminiert. Es gibt keine Menschenrassen, aber es gibt Rassismus. Und der ist gewaltsam und schadet – unabhängig davon, mit welcher Intention er ausgeübt wird, so die Erfahrung von Henriette Seydel und Dorcas Parsalaw aus der langjährigen Nord-Süd-Partnerschaftsarbeit im Tanzania-Network e.V. mit Sitz in Berlin.

Bösartigen, absichtsvollen, gewalttätigen Hass auf Nicht-Weiße üben wohl die wenigstens Partnerschafts-Engagierten aus. Rassismus ist aber trotzdem Thema, schreibt Sarah Vecera in ihrem Buch „Wie ist Jesus Weiß geworden - Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ (S. 130):

„Gerade in der weltweiten Ökumene werden Vielfalt, Toleranz, Diversität und Internationalität besonders großgeschrieben. Die fröhlich bunte Gemeinschaft verschleiert den systematischen Rassismus innerhalb der Gemeinschaft, der eine große Rolle spielt und unerkannt bleibt, obwohl wir genau diesen doch verhindern wollen. Wir merken es oft nicht einmal und stehen ab und zu mit Fragezeichen da.“  

Diese Fragezeichen und Verunsicherungen kennen wir. 

Was darf man jetzt noch sagen? Was ist nur ein Vorurteil, was Rassismus? Wer ist Opfer, wer ist Täter und was heißen all diese Begriffe „White Saviourism“, „Intersektionalität“ oder „Postkolonialismus“? Wir europäische Partner*innen sind doch die Guten, was soll schlecht daran sein, anderen Menschen zu helfen?

Gut gemeint ist nicht immer gut und „Hilfe“ ist ein schwieriges Wort. Nicht aus Bösherzigkeit, sondern weil es oftmals starke Festschreibungen von Retter*in und Opfer gibt, also klar ist, wer gibt und wer nimmt und braucht. Oftmals wird diese Hilfe wie selbstverständlich mit Geld geleistet. Angesichts der ungerechten Verteilung der Güter und der Tatsache, dass zum Beispiel deutscher Reichtum unter anderem auf der Armut und Ausbeutung der „Anderen“ aufbaut, ist für viele klar, dass etwas zurückgeben werden muss.

Doch aus einer physischen Abhängigkeit durch finanzielle Mittel und Sachspenden werden langfristig psychische Ungleichheiten. Partner*innen sprechen nicht mehr als ebenbürtige Erwachsene miteinander. Sondern die Geldgebenden verfallen als moralisierende oder fürsorglich beschützende Eltern in einen paternalistischen Tonfall („Ich kümmere mich um mein Projekt da unten“) und die Geldempfangenden fallen in die Rolle des angepassten Kindes, das bei einer Spendenanfrage jeder Erwartung entsprechen möchte, sich wenig Selbstkompetenzen zutraut und als „noch zu entwickelnd“ wahrgenommen wird.

Diese rassistischen Festschreibungen drücken Höher- und Minderwertigkeiten aus, die gerade im Kontext ökumenischer Kirchenpartnerschaften eine lange Tradition haben. Denn man darf nicht vergessen, dass viele Länder des Globalen Südens, mit denen wir jetzt Partnerschaften pflegen, einst unter brutaler Gewalt und kolonialer Ausbeutung standen. Deshalb kommen wir nicht darum herum, uns mit der Missions- und Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen: ob es die Christianisierung Lateinamerikas, Afrikas oder Ozeaniens ist.

Ich bin doch kein*e Rassist*in! – oder doch?

„Mzungu“ – das ist das Kiswahili-Wort für „Europäer*in/Weiße*r“ und fast alle Weißen Reisenden nach Tansania berichten, wie sie mit diesem Wort benannt werden. Für viele ist es das erste Mal, dass ihr Weißsein markiert und benannt wird und sie ärgern sich, fühlen sich in einen Topf mit US-Amerikaner*innen, Dän*innen und Australier*innen geworfen und mit vielen Vor-Urteilen konfrontiert, also mit Stereotypen verurteilt, vor dem individuellen Kennenlernen. Sie fühlen sich Anders-Gemacht. 

Ist das Rassismus? Nein, ist es nicht. Denn Rassismus wird definiert als die negative Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, (vermeintlicher) Herkunft und/oder Religion und verweist außerdem auf eine jahrhundertelange Geschichte der systematischen und strukturellen Unterdrückung Nicht-Weißer Menschen, also zum Beispiel durch Sklaverei, Kolonisierung, Zwangsarbeit oder Religionsverbote.

Natürlich können Weiße Menschen rassistisch diskriminiert werden, und Schwarze Menschen und People of Colour können andere diskriminieren, beispielsweise aufgrund ihrer Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit, oder aber auch wegen ihres Geschlechts, ihrer Liebesvorlieben oder ihrer körperlichen Gesundheitszustände.  Reine Opfer- und Täter*innenzuschreibungen helfen nicht weiter. 

Aber bevor wir behaupten, dass „alle Menschen gleich sind“, müssen wir uns ansehen, wie die jetzige Situation ist, in der eben leider nicht alle gleichwertig oder gleichberechtigt behandelt werden. Es geht vor allem erstmal um eine gesellschaftliche Struktur, ein System und die Frage, mit welchen Bildern und Worten über „die Anderen“ wir aufgewachsen sind. Es geht weniger um mich als Individuum oder meine Intention.

Die bemühte Harmonie in vielen Partnerschaften und das Ausblenden der wirtschaftlichen, sozialen, politischen oder kulturellen Ungleichheitsfaktoren sind kontraproduktiv. Ausdrücke wie „auf Augenhöhe“ oder „ich sehe keine Hautfarbe“ verschleiern die tatsächliche weltweite Ungleichheit und Rassismen, die nicht dadurch verschwinden, dass wir sie nicht aussprechen. „Gelebte Solidarität“ – ein weiteres Schlagwort – sollte sich nicht nur auf Geld- und Sachspenden beziehen, sondern auf das Verbündete-Sein im Kampf gegen Rassismus.

Keine Checkliste - Veränderungsprozesse für alle Beteiligten

Es folgt (leider) keine Checkliste oder ein Zehn-Punkte-Plan zur Überwindung von Rassismus. Denn so leicht ist das nicht. Es gibt keinen Regelkatalog, was rassistisch ist, und was nicht, was man sagen darf, und was lieber nicht, sondern das Entlernen und Neulernen sind Veränderungsprozesse für alle Beteiligten. Alle Partner*innen müssen ihre interkulturellen Kompetenzen sensibilisieren, Verschiedenheiten wahrnehmen, akzeptieren und daran lernen (Ambiguitätstoleranz heißt das so schön). Nord-Süd-Partnerschaftsarbeit gibt uns die Chance, unterschiedlichen Menschen aus anderen Ländern, Kulturen und Religionen zu begegnen. Dabei lernen wir also nicht nur ihr Wissen, ihre Traditionen und Erfahrungen kennen, sondern auch uns selbst neu zu verstehen.

Doch es entstehen auch Konflikte. Der „Eine“ versteht „den Anderen“ nicht, fühlt sich vor den Kopf gestoßen, soziale Regeln werden nicht eingehalten, Hierarchien verletzt. Während viele deutsche Partner*innen über ein mangelndes Zeitverständnis klagen, empfinden Tansanier*innen die Arbeitsweise der deutschen Partner*innen als hektisch und penibel. Die Folgen: Frustration, Kränkung, Wut oder Hilflosigkeit – auf allen Seiten! So müssen wir aufpassen, multikulturelle, vielfältige Lebenswirklichkeiten nicht als eine Kultur nationalistisch und stereotyp zu fassen, sondern gerade im individuellen Umgang miteinander offen zu bleiben und Kulturrassismen („so sind die halt“) zu vermeiden.

Ein guter erster Schritt ist sicherlich, über Rassismus zu lernen und rassistische Sozialisierung zu entlernen. Das ist anstrengend und kann weh tun. Dabei hilft das Wissen von Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen, Theolog*innen (vor allem, wenn sie selbst von Rassismus betroffenen sind und sich fachlich damit auseinandersetzen).

Gleichzeitig müssen nicht alle Schwarzen Menschen oder unsere Partner*innen erklären, was Rassismus heißt oder was man eben doch noch sagen darf, wie eine Art moralische Kontrollinstanz. People of Colour nur auf ihre Rassismuserfahrungen zu beschränken ist absurd. Sie haben zu anderen Themen genauso viel zu erzählen, sind verletzbar und haben nur begrenzte Aufklärungsressourcen.

Gerade Mitglieder der Weißen Mehrheitsbevölkerung stehen in der Verantwortung, sich gegen Rassismus zu engagieren: indem sie sich mit ihrer historisch gewachsenen, (zugeschriebenen) Weißen gesellschaftlichen Position auseinandersetzen und sehen, welche strukturellen Vorteile sie oftmals durch Aussehen, Namen oder Herkunft haben, zum Beispiel bei der Wohnungs- oder Jobsuche, beim Repräsentationen Vorkommen ihrer Hautfarbe in Kinderbüchern oder in der Werbung, bei Polizeikontrollen oder in der Visavergabe für Partnerschaftsbegegnungsreisen.  

Impulse zum Erkennen von Rassismen und Vorurteilen

Folgende Fragen geben Impulse zur Auseinandersetzung mit Rassismen und Vorurteilen in der Nord-Süd-Zusammenarbeit. Empfehlenswerte Reflexionshilfen zur Auseinandersetzung mit Rassismen und Vorurteilen sind zum Beispiel von der Arbeitsgemeinschaft der Eine-Welt-Landesnetzwerke in Deutschland e.V.: „Partnerschaften reflektieren“ oder Glokal e.V.: „Das Märchen von der Augenhöhe

  • Welche (sterotypen) Bilder und Wörter verwenden wir auf unserer Homepage und in Flyern? Welche Bilder zeigen wir nicht, weil sie nicht in unser Konzept von Unterentwicklung und Andersartigkeit passen? Mit welchen Bildern bekommen wir Aufmerksamkeit und generieren Spenden? Und: Gibt es unsere Medien auch in der Sprache unseres Partnerlands – wenn nein, warum nicht?
  • Welche (einseitigen) Geschichten erzählen wir nach einer Begegnungsreise über die Anderen? Welche Aussagen treffen wir über Armut, Ursprünglichkeit oder Naturverbundenheit? Überspitzt gefragt: Wer tanzt und trommelt, wer denkt und lenkt?  
  • Warum wollen wir helfen? Wer entscheidet über das Geld und die Ziele von Projekten? 
  • Welches gemeinsame Verständnis haben wir von Kernthemen wie Entwicklung, Sicherheit oder Gerechtigkeit? Nutzen wir neben Projektarbeit und Begegnungsreisen auch andere niedrigschwelligere  Austauschmöglichkeiten wie Social Media oder Videokonferenzen?
  • Wie divers sind wir in unseren deutschen Partnerschaftskreisen aufgestellt? Beziehen wir die vor Ort lebende Diaspora mit ein?

Die Vereinte Evangelische Mission (VEM) in Wuppertal schlägt außerdem trilaterale Konzepte vor: Kirchengemeinden aus drei Kontinenten pflegen eine Partnerschaft. Das Thema Geld rückt in den Hintergrund und die Auseinandersetzung mit anderen Themen wie Glauben, Frieden oder Nachhaltigkeit kommen in den Vordergrund.

„Ich wünsche mir, dass der Kampf gegen Rassismus von Weißen Menschen nicht als Bürde, sondern als Chance gesehen wird. Als Chance, Teil der Veränderung zu sein. Teil der Lösung und nicht des Problems.“ (Antirassismus-Trainerin Tupoka Ogette auf Instagram, Oktober 2023)

Rassismus ist besonders dann kränkend und verletzend, wenn er von Menschen kommt, die sich Freund*innen und Partner*innen nennen. Ökumenische Nord-Süd-Partnerschaften haben ein starkes gemeinsames Fundament. Die praktische Gestaltung  Auslebung weltweiter Christ*innenheit und die Geschwistermetapher können eigentlich nur dazu motivieren, Rassismus und andere Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und sich einzusetzen für Frieden, Gerechtigkeit und Vielfalt.

Über die Autorinnen

Henriette Seydel ist Soziologin und promoviert zu Tourismus in Tansania. Dorcas Parsalaw ist Juristin und arbeitet für Nachhaltigkeitsthemen bei Mission EineWelt. Beide engagieren sich im Vorstand des Tanzania Network e.V., dem bundesweiten Netzwerk tansaniabezogener Akteure (Kirchengruppen, Vereinen, Diaspora, Wissenschaft und Wirtschaft). Der Verein macht vielfältige entwicklungspolitische Bildungsarbeit und setzt sich für eine antirassistische Zusammenarbeit ein.

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