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grüner Hintergrund mit Text: In Tansania leben schätzungsweise 300.000 bis 600.000 gehörlose Menschen. Einige praktizieren das Lippenlesen oder nutzen Schriftsprache und Bilder, viele aber auch die Gebärdensprache: die „Lugha Ya Alama“  (wörtlich: Signalsprache).

Der Internationale Tag der Gebärdensprachen wird weltweit jedes Jahr am 23. September zusammen mit der Internationalen Woche der Gehörlosen gefeiert. Am 23. September wurde 1951 der Weltverband der Gehörlosen gegründet. In unserem HABARI-Magazin 03/2022 "Sprachpolitik" erschien folgender Artikel über Gebärdensprache(n) in Tansania (von Henriette Seydel).

Gebärdensprache(n) in Tansania

Die Hand zu einer Faust geballt, Daumen und Zeigefinger sind ausgestreckt. In der Haltung zeichnet die Hand ein Z in die Luft. Das bedeutet „TZ“ und heißt „Tansania“. Zur Begrüßung führt die flache Hand vom Mund bis zur Brusthöhe runter, je nach Uhrzeit zeigt der Arm dann angewinkelt nach rechts (morgens), in die Mitte (mittags) oder nach links (abends).

 

Erklärbild aus Lehrbuch für Lugha ya Alama. Zwei Menschen, die die Gebärden für "T" und "Z" und "Habari" und "Asubuhi" ausführen.

Erklärbilder für tansanische Gebärdensprache aus dem Lehrbuch "Lugha ya Alama ya Tanzania"

Entwicklung und Verbreitung der Gebärdensprache

In Tansania leben schätzungsweise 300.000 bis 600.000 gehörlose Menschen. Einige praktizieren das Lippenlesen oder nutzen Schriftsprache und Bilder, viele aber auch die Gebärdensprache, die „Lugha Ya Alama“ (wörtlich: „Signalsprache“). Die erste Institution für Gehörlose, das Tabora Deaf-Mute Institute, wurde 1963 gegründet. Heutzutage sind acht Sonderschulen und etwa 28 integrierte Grund- und weiterführende Schulen in Betrieb. Seit den 1960er Jahren entwickelten sich landesweit – voneinander unabhängig –  ungefähr sieben Gebärdensprachen, die sich aber auch von der ugandischen und kenianischen Variante unterscheiden. Eine standardisierte Version wurde 1984 vorgeschlagen, aber nie offiziell eingeführt. 1993 erstellte der Gehörlosenverband Tansania (CHAVITA) ein erstes Wörterbuch, außerdem gibt es seit 2020 ein Gebärdensprachen-Online-Wörterbuch mit Videoclips (https://tz.signwiki.org).

Diskriminierung und Ausgrenzung

Nicht selten werden gehörlose Menschen diskriminiert, stigmatisiert und ausgegrenzt. Fehlende Bildung, und Arbeitslosigkeit führen zu Armut, die wiederum schlechtere Gesundheit und mangelhafte Ernährung nach sich zieht. Dolmetscher*innenmangel in Behörden, Krankenhäusern und Nachrichtensendungen, zu wenig qualifizierte Ärzt*innen sowie zu teure Technologien oder Therapien ermöglichen keine adäquate Teilhabe am öffentlichen Leben. Schätzungsweise nur 1 bis 5% der gehörlosen Kinder in Tansania besuchen eine geeignete Schule, von den Erwachsenen können 55% weder schreiben noch lesen.

Oft wird gehörlosen Menschen das Recht verweigert, ihre eigene Sprache zu verwenden. Zudem erfährt die Gebärdensprache gelegentlich auch eine Diskriminierung als „Lugha Ya Bubu“, also „Sprache der Stummen“ oder „der Dummen“. Nicht nur „dumm“ ist abwertend und beleidigend, sondern auch „stumm“ stimmt nicht, da die Betroffenen ja miteinander kommunizieren. Wie andere Bezeichnungen für Menschen mit Behinderung gehört auch die gehörlose Person „kiziwi“ grammatikalisch in die Substantivklasse Ki-/Vi (Dinge), nicht in die M-/Wa-Klasse (Menschen).  

Empowerment und der Kampf um Inklusion

Es existieren mehrere Organisationen, die sich für Inklusion und Rechte gehörloser Menschen einsetzen, die Gebärdensprache verbreiten und verschiedene Empowerment-Projekte durchführen. Zusätzlich betreiben sie politische Lobbyarbeit und pochen auf die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention, der Tansania Disabilities Policy 2004, dem Tanzania Disability Act 2010 und der Tansania Education Policy 2014 – als Garanten der Rechte gehörloser Menschen.

  • Den Verein UMIVITA ( „Umoja Wa Miradi Kwa Viziwi Tanzania“ – „Union für Projekte für Gehörlose in Tansania“) leiten – zur Unterstützung anderer –  junge Gehörlose. Generalsekretär Mpingwa erklärt: „Unsere Vision ist es, dass Gehörlose in Zukunft die Gebärdensprache uneingeschränkt verwenden können. Deshalb setzen wir uns für ihre Rechte ein. Unser Ziel ist es, die Diskriminierung gehörloser Menschen zu verringern.“
  • Die Jamii ya Viziwi Tanzania (Gehörlosengemeinschaft) organisiert Netzwerk- und Austauschtreffen gehörloser Menschen und engagiert sich kreativ für Lobpreis und Gottesdienst in der Immanuel Church for the Deaf in Daressalaam. Mitglieder der Initiative BILAT („Biblia ya Lugha ya Alama Tanzania“ ) haben Videos mit Bibelgeschichten in Gebärdensprache aufgenommen (https://deafbible.com).
  • Die größte Organisation ist die CHAVITA (Chama Cha Viziwi), der Gehörlosenverband Tansanias. In 17 Zweigstellen im ganzen Land vernetzt, hilft die NGO Gehörlosen, ihren Lebensstandard zu verbessern und sich zu bilden. Die Etablierung der (einheitlichen) Gebärdensprache, der Kampf um Inklusion und Menschenrechte sowie die Sensibilisierung von Behörden und Politik zählen zu den Kernaufgaben der Initiatoren.

Studien zeigen, dass gehörlose Menschen, die Gebärdensprache lernen und praktizieren, nicht nur einen leichteren Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen haben, sondern auch mehr wirtschaftliche Möglichkeiten ausschöpfen und intensiver am öffentlichen Leben teilnehmen können – entscheidende Schritte zur positiven Veränderung der Lebensumstände.

Quellen: