Kolonialrevisionismus, Nostalgie und Verschweigen sind drei Kennzeichen des Umgangs mit dem Kolonialerbe in Deutschland. Zwar gibt es seit kurzem eine Maji-Maji-Allee (Berlin), aber sonst spielt Kolonialismus eine geringe Rolle im Geschichtsunterricht und in der öffentlichen Aufarbeitung und Gedenken.
Allerdings engagieren sich seit langem zivilgesellschaftliche Gruppierungen, lokale Postkolonial-Initiativen, afrodeutsche, afrikanische Schwarze und BiPoC-Akteure sowie wissenschaftliche oder kirchliche Projekte auch in der post-/anti-/kolonialen Aufklärung, Erinnerung, Antirassismus- und Bildungsarbeit. Sie veranstalten Stadtrundgänge, Lesungen, Filmabende oder Podiumsdiskussionen, erstellen Filme, Podcasts, Zeitungsartikel und Bücher, führen Demonstrationen und Kunstprojekte durch, und fordern Entschuldigungen, Reparationen, Straßenumbenennungen und Restitutionen. Einige Denkmäler (das Wissmanndenkmal in Hamburg oder auch der Kopf der Carl-Peters-Statue im Nordseemuseum Helgoland,) fristen ihr Dasein in Kellern und Depots von Museen. In den letzten Jahren sind konfliktreiche, kontroverse Debatten um einen Umgang diesen Gegenständen und mit anderen Erinnerungsorten erneut aufgeflammt:
- Das Kollektiv Göttingen Postkolonial setzt sich für eine kolonialkritische Einordnung des Wissmanndenkmals in Bad Lauenburg ein
- Aktivist*innen in Hannover streiten für eine Entfernung des Carl-Peters-Denkmals
- Der Carl-Peters Gedenkstein in Neuhaus an der Elbe wird, nachdem er 1951 vom DDR-Regime entfernt und 1994 wieder aufgestellt wurde, erneut Diskussionsgegenstand
- Die Nachbildung der Bismarck Rocks in den Mwanza Garten in Würzburg wird kritisiert bzw. eine Umbenennung gefordert.
- Nicht zuletzt findet das Thema seinen Platz in deutschen Museen und Ausstellungen.
Nach der Bundestagswahl 2018 wurde das Thema Kolonialismus erstmals im Koalitionsvertrag erwähnt. In ihm wird festgelegt, dass neben dem geschichtlichen Erbe der DDR und der Nazivergangenheit das Kolonialerbe einen Platz im kollektiven Gedächtnis finden soll (CDU, CSU & SPD 2018: Zeile 7953-8085). Bis dahin wurde die koloniale Vergangenheit weitestgehend ausgeblendet. Frederik Haug, der die Haltung der Bundesregierung hinsichtlich des Gewalthandelns in Deutsch-Ostafrika erforscht hat, beschreibt eine Distanz, die mit Aussagen wie „gemeinsamer Weg“, „historische Ereignisse“ oder „langjährige Freundschaft“ koloniale Gewalt verschleiert und eine kritische Vergangenheitsaufarbeitung erschwert (2018: 37–41). Eine offizielle Entschuldigung an Tansania, ein kolonialgeschichtliches Museum, bundesweite Gedenktage oder ein zentrales Mahnmal bzw. Gedenkort für die Opfer deutscher Kolonialherrschaft sind bislang von deutscher Seite nicht realisiert worden.
Bildquelle: 14.10.15: Protest vor Bundestag: Völkermord verjährt nicht!, von Uwe Hiksch CC BY-NC-SA 2.0 DEED, Link.Text: Henriette Seydel