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Orangener Hintergrund und Text: "Die Geschichte der Frauenbewegung in Tansania ist eng mit dem Unabhängigkeitskampf verbunden. Frauen waren die treibende Kraft zur Dekolonisierung. 8. März: Weltfrauentag Aili Mari Tripp in: „The Women’s movement in Tanzania“

Die Geschichte der Frauenbewegung in Tansania ist eng mit dem Unabhängigkeitskampf verbunden. In der für das Land so wichtigen Zeit kamen viele Frauen zum ersten Mal in Berührung mit aktiver Politik. Sie waren die treibende Kraft hinter den Bestrebungen nach Unabhängigkeit im damaligen Tanganyika und spielten eine außerordentliche Rolle bei der Mobilisierung von Mitstreiter*innen. Zentrale Persönlichkeit auf dem Weg zur Autonomie wurde die charismatische Anführerin des Tanganyika Council of Women (TCW), Bibi Titi. Sie erreichte viele Frauen in ngoma-Tanzgruppen, bei denen sie ihr Selbstbewusstsein stärkte und für ihre Ziele warb. Diese Gruppen zeichneten sich durch eine besondere Einstellung aus: Im Gegensatz zu vielen von Männern dominierten Organisationen, standen sie offen für die unterschiedlichsten Ethnien und Religionen. Zudem war man sich darüber im Klaren, dass der Einsatz für Unabhängigkeit und Gleichheit nur Erfolg haben konnte, wenn Männer und Frauen zusammenarbeiteten. Interviews mit damaligen Aktivistinnen legen nahe, dass Frauen entschiedener für die Unabhängigkeit einstanden und die Tanganyika African National Union (TANU) stärker unterstützten als Männer. Womöglich lag es daran, dass Männer direktere Strafen und strengere Kontrollen durch die Kolonialherren zu erwarten hatten als Frauen, denen aufgrund von Vorurteilen seitens der Herrschenden weniger gesellschaftlicher und politischer Einfluss zugetraut wurde.

Bibi Titi Mohamed
Bibi Titi Mohamed (c) Wikimedia

Unmittelbar nach der Unabhängigkeit hatten die aus der Bewegung hervorgegangenen Organisationen großen Einfluss auf den von Tansanierinnen geführten Kampf für Gleichberechtigung. Die TANU-nahe Frauenorganisation „Umoja wa Wanawake wa Tanzania“ (UWT) war von Seiten der Regierung das „Sprachrohr“ für die Frauen, die wiederum die Politik an den Rest der Bevölkerung vermittelten – vor allem in ländlichen Regionen eine wichtige Aufgabe. Trotz mangelnder Selbstständigkeit der UWT von der herrschenden Partei konnte sie entscheidende Gesetze durchbringen, welche die Situation von Frauen verbesserten: beispielsweise die Vereinheitlichung der Ehegesetze für alle Religionsgemeinschaften, die Festlegung eines Mindestalters zum Heiraten und die Einführung von bezahltem Mutterschutz, unabhängig vom Familienstand. Der erste Präsident Tansanias, Julius Nyerere, unterstützte die Reformen, da sie seiner egalitären Gesinnung entsprachen. Er erkannte die hohe und ungerechte Arbeitsbelastung von Frauen in den Dörfern an und setzte sich dafür ein, dass Mädchen den gleichen Zugang zu Bildung erhielten wie Jungen. Dank seiner Politik erreichte Tansania eine der höchsten Alphabetisierungsraten Afrikas. Auch die Teilhabe von Frauen am politischen Leben wurde früher vorangetrieben als in vielen anderen afrikanischen Staaten – vermutlich aufgrund der sozialistischen Ausrichtung unter Nyerere.

Durch seine Ujamaa-Politik und eine aktive Frauenorganisation in der Regierungspartei wurden auf Gleichberechtigung zielende Maßnahmen gefördert, und insbesondere Frauen aus den unteren Schichten konnten eine politische Karriere anstreben. So war Lucy Lameck, Tochter von Farmern, die erste Ministerin Tansanias und bewährte sich über 20 Jahre in politischen Ämtern. Sie erkämpfte die Zustimmung zu vielen wichtigen Gesetzen, die Rechte und Gleichstellung ihrer Geschlechtsgenossinnen betrafen.

Lucy Lameck (c) The National Archives UK
Lucy Lameck (c) The National Archives UK

Nach dem Ende des Einparteiensystems 1991 öffnete sich die politische Landschaft für andere Frauenorganisationen neben der UWT, die unter Kontrolle der Regierungspartei blieb. Schon seit Ende der 1970er Jahre gründeten sich feministische Organisationen – wie das „Women’s Research and Documentation Project“, das kritische Genderforschung betrieb, oder die „Tanzania Media Women’s Association“ (TAMWA).

Besonders wichtig für das Entstehen dieser heterogenen Gruppen waren internationale Einflüsse sowie die UN-Frauenkonferenzen. Die Veranstaltungen in Nairobi 1985 und in Peking 1995 wurden vorbereitet und begleitet von neuen Netzwerken wie dem „Tanzania Gender Networking Programme“ (TGNP) und unterschiedlichsten NGOs, die auf lokalem, nationalem oder regionalem Level agierten. Um sich zu vernetzen und gemeinsame Standpunkte zu erarbeiten, fanden in ganz Ostafrika sowie auch auf dem restlichen Kontinent Zusammenkünfte statt. Da die Peking-Konferenz mit der politischen Öffnung Tansanias zeitlich zusammenfiel, trieb der Prozess die Entwicklung einer pluralen Frauenbewegung in Tansania noch stärker voran.

Die Wirtschaftskrisen und Strukturanpassungsprogramme der 1980er Jahre sowie die politische Liberalisierung, die im Zug der ökonomischen Entwicklungen vollzogen wurde, begünstigten die Gründung neuer, unabhängigerer Organisationen in Tansania, aber auch in ganz Afrika. Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit öffnete sich für die breite Zivilgesellschaft ein öffentlicher Raum jenseits von Parteipolitik. Dennoch war es für Frauenorganisationen anfangs nicht leicht, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und trotzdem bei der Regierung Gehör zu finden. Diese Errungenschaft scheint heute aufs Neue infrage gestellt zu werden.

Frauenrechtsaktivistinnen aus Tansania haben international in erster Linie zwei Themen auf die Agenda gebracht: Einerseits betonten sie früh die Bedeutung politischer Repräsentation von Frauen in Führungspositionen sowie die Notwendigkeit von Strategien im Hinblick auf Quoten. Es wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, sodass das Land heute in vielen Bereichen einen im internationalen Vergleich relativ hohen Anteil von Frauen in politischen Institutionen vorweisen kann. In Ministerien jedoch ist die Ungleichheit noch besonders groß. Eine Kampagne der Feminist Activist Coalition, TGNP und TAMWA zielt darauf ab, komplette Parität bei der Besetzung entsprechender Posten zu erreichen. Andererseits war Tansania auch im Bereich „Gender Budgeting“ internationaler Vorreiter. Aus Südafrika übernommen, wurde die Idee ab 1997 umgesetzt. Dabei geht es darum, die Effekte staatlicher Ausgabenpolitik in Hinblick auf die Situation von Frauen zu analysieren und zu berücksichtigen. Mit der Forderung reagierten Frauenorganisationen auf die für die weibliche Bevölkerung negativen Auswirkungen der Finanzkrisen und Strukturanpassungsprogramme. Auf Basis der Analysen sollten konkrete Zuweisungen im nationalen Haushaltsplan vorgenommen werden, um gesetzte Ziele in Sachen Gleichberechtigung bzw. für Frauen eine Verbesserung ihrer Lebensumstände zu erreichen. Für die Beschaffung von Daten wurden unterschiedlichste Akteur*innen einbezogen sowie Diskussionen in Foren organisiert, an denen Vertreter*innen von Graswurzelinitiativen sowie Regierungsfunktionär*innen teilnahmen.

Hauptthemen der Frauenbewegung waren und sind bis heute Armut, geschlechtsbezogene Gewalt, Beschäftigung und Existenzsicherung, Land- und Eigentumsrechte sowie Repräsentation in der Politik und verfassungsrechtliche Reformen. Einige Tansanierinnen sind inzwischen in internationalen Institutionen als Führungskräfte präsent und gestalten so die weltweite Emanzipationsbewegung mit. Den Feminismus in Tansania prägt bis heute die Einheit über kulturelle, ethnische und religiöse Grenzen hinweg. Diese Stärke bleibt wohl auch in Zukunft wichtig für ihren Erfolg.

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Tripp, Aili Mari; Badri, Balghis (Eds.) (2017): Women‘s Activism in Africa. Struggles for Rights and Representation. London: Zed Books. Die Autorin Aili Mari Tripp des Beitrags „The Women’s movement in Tanzania“ hat die Wangari Maathai Professur für Politikwissenschaft sowie Gender- und Frauenstudien an der University of Wisconsin-Madison inne und forscht vor allem zu transnationalen und afrikanischen Frauenbewegungen.

Zusammenfassung von Nadja Spatzl. Sie leistete nach dem Abitur einen Freiwilligendienst in Tansania. Im Sommer 2019 absolvierte sie ein Praktikum in der Koordinationstelle des Tanzania-Network. de. 2019 schrieb sie ihre Bachelorarbeit im Fach Politik an der FU Berlin. Dieser Artikel erschien zuerst im HABARI 03/2019 "Tuko njiani – Frauen auf Erfolgskurs", S. 8-11