Direkt zum Inhalt
Image
Blaue Kachel mit Text: 7. April Weltgesundheitstag - Die Digitalisierung des Gesundheitswesens eröffnet viele Chancen und kann Distanzen überbrücken, die vorher ein großes Hemmnis auf dem Weg zur Erlangung medizinischer Hilfe waren.

Am 07. April ist Weltgesundheitstag. Dieser von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgerufene Aktionstag steht 2023 unter dem Motto #HealthForAll – Gesundheit für alle. Während in Deutschland noch die Skepsis gegenüber der Digitalisierung in der Medizin überwog, sprossen in Tansania schon zahlreiche Projekte im Bereich E-Health wie Pilze aus dem Boden. Ziemlich schnell entdeckten Anfang des neuen Jahrtausends kluge Köpfe in Tansania das Potenzial, das in der Anwendung digitaler Medien zur Verbesserung von Gesundheits(dienst)leistungen steckt.

 

 

 

E-Health

Digitale Abläufe in den Gesundheitseinrichtungen

  • Dokumentation von Abläufen, Diagnosen, Verordnungen, Befunden
  • Patientenverwaltung der persönlichen Daten, Termine, Behandlungszeitpunkte
  • Management von Abläufen, Personalwesen, Vorräten und Beschaffung (z.B. von Medikamenten. Schnell kann der Bedarf ausgelistet, die Bestellung bearbeitet, an den Central Medical Store übermittelt und von dort nachvollziehbar ans Krankenhaus geliefert werden. Auch die Medikamentensicherheit erhöht sich.)
  • Krankenhaus- und Gerätetechnik

Telemedizin

  • beispielsweise Hinzuziehung von Spezialist*innen im In- und Ausland durch digitale Übermittlung von Bildern, Befunden, speziell aufbereiteten Gewebeproben u.a., Telekonferenzen

Mobil Health (m-health)

  • Anwendungen (Apps) für Smartphones und Tablets im ambulanten Bereich
  • Gesundheitsinformationen für Bereiche wie Mutterschaftsvorsorge, Ernährung, Sexualität und sexuell übertragbare Krankheiten, Empfängnisverhütung, Menstruation, Hygiene
  • Zielgruppe sind interessierte Menschen ohne spezielle Vorkenntnisse.
  • Begleitende Apps für Patient*innen und Gesundheitspersonal, zum Beispiel bei Diabetes, HIV, Schwangerschaft
  • Kommunikation zwischen Gesundheitsstationen und spezialisierten Krankenhäusern
  • Handlungsanweisungen für health workers und Ärzt*innen in Ausnahmesituationen
  • Datenerhebungen für Studien und Planungsprozesse

Arzt mit Handy in der Hand

Digitalisierung im Gesundheitswesen – Tansania liegt vorn

Unterschiedlichste in- und ausländische Entwickler, Hersteller, Firmen, Startups und NGOs produzierten zwar eigene Ideen und starteten unabhängig voneinander Projekte, aber Austausch und Vernetzung hatten sie dabei meist nicht mitbedacht. Doch relativ bald merkten sie, dass Strukturen für den Erfolg unerlässlich sind. So gründeten die Pioniere 2009 die M-Health Community of Practice, die dann 2011 offiziell als Arbeitsgruppe des Gesundheitsministeriums anerkannt wurde.

Unterstützt von einigen Partnern, begann im Jahr darauf das Ministerium unter Berücksichtigung der „digital principles“, ein eigenes Regelwerk und eine nationale Health-Strategie zu entwickeln. Eine der ersten weltweit. Inzwischen ist auf dieser amtlichen Ebene eine E-Health-Abteilung etabliert, die eine spezielle Plattform für alle Arten der Digitalisierung in der Medizin anstrebt. Ziele sind Datenaustausch, Kompatibilität und nationale Angleichung der Systeme für eine möglichst hohe Effektivität und Vernetzung. E-Health soll als Instrument dienen, um Prozesse im Gesundheitswesen überschaubarer zu gestalten, und kein unabhängiges Kapitel sein. Während die meisten Projekte weiterhin in den Anfängen oder der Pilotphase festhängen, haben immerhin einige den landesweiten Einsatz geschafft, zum Beispiel die District Health Information Software 2. DHIS2 ist eine an der Universität Oslo entwickelte freie Software für Gesundheitssysteme, vor allem in einkommensschwachen Ländern, und wird mittlerweile in über 100 Staaten angewendet. Seit der Präsidentschaft von Magufuli kommt in der Entwicklungszusammenarbeit niemand mehr an den Vorgaben der Regierung vorbei, und auch weitere E-Health-Konzepte müssen von vielen Seiten genehmigt werden.

Nichts ist umsonst

Für die Umsetzung der nationalen E-Health-Strategie muss die Regierung sehr viel Kapital einbringen, schon für die ersten fünf Jahre. Ein zentrales Problem ist die Finanzierung der Investitionskosten. Außerdem existieren bisher nur wenige Erfahrungen mit einer Strukturentwicklung auf staatlicher Ebene. Ebenso schwierig ist die nachhaltige Sicherstellung von Geldern für den laufenden Betrieb, für Wartung und notwendige Anpassungen, da Geber häufig nur die Anschaffung und Anfangszeit sponsern. Als mögliche Geldquellen kommen etwa die Weltbank, internationale Organisationen oder Stiftungen wie die von Melinda Gates, die EU und weitere Länder (insbesondere die USA), die Pharmaindustrie (z.B. Merck) oder andere Konzerne in Frage. Ein strittiger Punkt bleibt die Frage, wer die Rechte an den digitalen „Produkten“ besitzt. Diejenigen, die sie erworben oder gestellt bekommen haben und sie anwenden, oder diejenigen, die zuvor die Entwicklungsarbeit geleistet haben. Wer darf und kann Veränderungen vornehmen, wer solche Entwicklungen weiter veräußern? Das bedarf der Klärung und Verhandlung.

Schöne neue Welt trifft raue Wirklichkeit

Die Möglichkeiten auf dem digitalen Markt erscheinen unbegrenzt. Die Erstellung von mobilen Anwendungen zum Beispiel ist inzwischen relativ einfach. Nahezu jeder mit entsprechenden Kenntnissen kann seine eigene App gestalten und im Rahmen der gesetzlichen Regelungen verbreiten. Mit guten E-Health-Programmen sind Dinge möglich, von denen die Menschen bis vor kurzem nur träumen konnten. Die moderne Welt kommt bis ins letzte Dorf. Aber nicht nur dort wimmelt es von Fallstricken. Fällt der Strom aus, ist auch der Bildschirm schwarz und auf die wunderbaren Daten kein Zugriff möglich. Jeder, der mit einem PC arbeitet, weiß, wie störanfällig die geliebten Helfer sind und wie schnell er bei der Problembehebung mit seinen Kenntnissen an Grenzen stößt. Ohne Strom gibt es auch mit der Hotline Probleme. Von der kurzen Lebensdauer der digitalen Geräte insgesamt ganz zu schweigen. Das Thema Datensicherheit steckt noch in den Kinderschuhen und lädt zum Missbrauch ein. Und die medizinische Versorgungsqualität hängt bei weitem nicht nur von den unerschöpflichen Daten und Informationen ab, sondern vor allem davon, wie eine Gesundheitseinrichtung erreicht werden kann, wie sie ausgestattet ist und ob sie genug kompetentes Personal bereithält. Wenn die App empfiehlt, ins Krankenhaus zu gehen, es dort jedoch keinen Arzt und für die Patienten keinen Transport gibt, darüber hinaus auch das Geld zur Bezahlung der Behandlung fehlt, dann ist guter Rat genauso teuer wie ohne die App.

Und trotzdem: Die Digitalisierung eröffnet im Bereich des Gesundheitswesens viele Chancen und kann Distanzen überbrücken, die vorher ein großes Hemmnis auf dem Weg zur Erlangung medizinischer Hilfe waren.

Sie ist eine wichtige Quelle für Informationen und verschafft Übersicht. Digitalisierung muss aber immer im Kontext mit der realen Situation gesehen und geplant werden. Wenn viele an der Suppe kochen und sogar wenn sie gut ist, macht sie nicht automatisch alle satt. Dazu sollten die Planer auch über ihren Tellerrand hinausschauen.

von Elisabeth Steinle-Paul (Frauenärztin im Ruhestand und seit 2002 Mitglied in der HABARI-Redaktion) und Friederike Paul-Fariborz (Master of Development Management, seit 2012 bei evaplan GmbH am Universitätsklinikum Heidelberg). Dieser Artikel erschien im HABARI 2020/1 "Gesundheitswesen – alte Pfade, neue Schritte"