
Auf der diesjährigen 74. Berlinale feierte der Dokumentarfilm „Das leere Grab“ seine Premiere. In der tansanisch-deutschen Koproduktion begleiten die Filmemacherinnen Cece Mlay und Agnes Lisa Wegner zwei tansanische Familien im Ringen um die Rückführung der Gebeine ihrer Ahnen, die während der deutschen Kolonialzeit zu Tausenden für rassistische „Forschungszwecke“ als Kriegs-Trophäen von Tansania nach Deutschland verbracht wurden.
Im Süden des Landes, in Songea, betrauert die Familie Mbano das Fehlen des Schädels von Songea Mbano, der sich als strategischer Anführer im Maji-Maji-Krieg gegen die deutsche Kolonialherrschaft aufgelehnt hatte und dafür zusammen mit Dutzenden weiterer Widerstandskämpfer hingerichtet wurde. Im Norden des Landes, am Mount Meru, kämpft die Familie Kaaya um die Rückführung des Schädels ihres Vorfahren, der – einem Wunder gleich – in einem Museum in New York identifiziert werden konnte.
Der Film zeigt das Wechselspiel von Hoffnung und Frustration auf Seiten der Familien und verdeutlicht zugleich die Komplexität von Repatriierungs- (Gebeine) und Restitutionsvorhaben (Kulturgüter): Denn nicht nur in Deutschland, auch in Tansania ist das Ansinnen der Nachfahren mit scheinbar unüberwindbaren bürokratischen und politischen Hürden verbunden. Unterstützung bekommen die Communities von Aktivisten wie Mnyaka Sururu Mboro und Konradin Kunze, die in Deutschland unermüdlich Bewusstsein für das Thema schaffen und sich auf verschiedensten Ebenen für ihre Interessen einsetzen.
Im Unterschied zum Spielfilm „Der vermessene Mensch“ von Lars Kraume, der im letzten Jahr in die deutschen Kinos kam und den Genozid an den Nama und Herero im heutigen Namibia thematisiert, ist dem dokumentarischen Werk „Das leere Grab“ deutlich anzumerken, dass es in tansanisch-deutscher Koproduktion entstanden ist. So gewinnt die tansanische Perspektive den nötigen Raum.
Zuweilen wirken die Szenen nicht ganz natürlich, sondern etwas gestellt. Das tut dem Gesamtfilm und seiner Botschaft aber keinen Abbruch. Aus meiner Sicht ist eher die Frage relevant, für welches Publikum er gedreht wurde. Erstrebenswert wäre eine große Akzeptanz in Tansania ebenso wie in Deutschland. Die Ästhetik der Bilder hinterlässt bei mir – vielleicht zu Unrecht – den Eindruck, dass es vordergründig darum geht, ein deutsches Publikum zu erreichen. Hierzulande kann der Film ohne Frage einen sehr wichtigen Beitrag bei der Auseinandersetzung mit der Kolonialvergangenheit leisten, weil er das Trauma der Nachfahren spürbar macht. Dabei sollte aber auch kritisch bedacht werden, dass es eigentlich unsere Aufgabe ist – und nicht die von Tansanier*innen wie etwa den Protagonist*innen im Film –, dass wir als Deutsche uns endlich und aufrichtig unserer historischen Verantwortung und den grausamen Taten unserer Vorfahren stellen.
„Das leere Grab“ wird ab dem 23. Mai 2024 in deutschen Kinos zu sehen sein. Ausführliche Informationen zu den Regisseur*innen und ihrem Werk finden sich auf der Seite des Verleihers: https://salzgeber.de/dasleeregrab
Diese Filmbesprechung von Daniela Tschuschke erschien zuerst im HABARI 01/2024 "Essen und Ernährung".