Dieser geschichtswissenschaftlich-anthropologische Sammelband verbindet auf beeindruckende Weise historische Genauigkeit, multidisziplinäre Perspektiven und einen ethischen Zugang zur Kolonialgeschichte. Es präsentiert komplexe Diskussionen über den Majimaji-Krieg, Völkermord, Gender, kulturelles Erbe und Restitution. Den deutschen und tansanischen Herausgeber*innen Dr. Sakina Faru (Saint Augustine University Mwanza), Prof. Dr. Claus Melter (Bielefeld Univerrsität) und Dr. Charles Saanane (University of Dar es Salaam und Dodoma) ist es gelungen, den Fokus auf Reparationen und historische Verantwortung sowohl aus tansanischer als auch aus deutscher Perspektive zu legen. Die Anwendung afrozentrischer Theorie bietet eine neue Perspektive für die Analyse der Auswirkungen des Kolonialismus, ohne die eurozentrische Sichtweise zu verstärken. Darüber hinaus untersucht das englische Werk aktuelle politische Entwicklungen, darunter den Besuch des deutschen Bundespräsidenten Steinmeier in Tansania im Jahr 2023.
Allerdings weist das Buch auch Schwächen auf. Es gibt einige Überschneidungen zwischen den Kapiteln (siehe Kapitel 1, 4, 5 und 6). Kapitel vier behandelt das Kernthema – Restitution und Reparationen – nicht ausreichend. Es liefert zwar einen gründlichen historischen Hintergrund zur kolonialen Aneignung in Tansania, geht aber nicht explizit auf die Debatte über das Ausmaß der Schäden ein, die von kolonialen „Sammlern“ in Tansania verursacht wurden. Es mangelt auch deutlich an aktuellen Quellen. Die Diskussion der deutschen Perspektiven könnte ebenfalls erweitert werden. Obwohl tansanische Wissenschaftler*innen den Völkermord während des Majimaji-Krieges detailliert analysiert haben, fehlen noch immer umfassende Studien zu den internen deutschen Debatten oder relevanten Archivdokumenten. Insgesamt leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur internationalen Debatte über Kolonialismus und Reparationsfragen am Beispiel der Erfahrungen Tansanias unter deutscher Kolonialherrschaft.
Eine Rezension von Dr. Valence Valerian Silayo und Thomas Fues
Dr. Valence Valerian Silayo ist Dozent an der Universität von Dar es Salaam, Tansania, und spezialisiert auf afrikanische Archäologie, vorkoloniale soziale Zusammenhänge und die Restitution von Kulturerbe.
Thomas Fues ist „Redakteur des Blogs „https://dekolonial-erinnern.de“ und des Podcasts „Decolonial Memories“.
3_Sakina Faru, Charles Sanaane, Claus Melter (Hrsg.): German Rule and Socio-economic Patterns in Tanzania. Galda Verlag, Glienicke 2024, 145 Seiten, ISBN 9783962034009, 42,00€9783962034009