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Blauer Hintergrund. Text: Buchtipp des Monats der HABARI-Redaktion: Eric Burton, In Diensten des Afrikanischen  Sozialismus, Tansania und die globale  Entwicklungsarbeit der beiden deutschen Staaten  1961-1990

Entwicklungspolitische Verflechtungen zwischen Tansania, Ost- und Westdeutschland in den 1960er bis 1990er Jahren zeigt der Historiker und Afrikanist Eric Burton (Universität Innsbruck) in seiner Doktorarbeit auf. Er beschreibt, welche Rolle Entwicklung für den Aufbau des Afrikanischen Sozialismus spielte und wie die Zusammenarbeit im Spannungsverhältnis von Kaltem Krieg, Dekolonisierung und konkurrierenden Sozialismen aus Ost und Süd funktionierte. Dafür sichtete er deutsche und tansanische Archive, wälzte unzählige Akten außen- und entwicklungspolitischer Institutionen und führte mehr als einhundert Interviews.

Die Leser*innen erfahren interessante Hintergründe über die Ujamaa-Politik Nyereres, die Revolution in Sansibar, Daressalam als Zentrum für afrikanische Unabhängigkeitsbewegungen sowie ost- und westdeutsche Systemkonkurrenz auf tansanischem Boden. Darüber hinaus beschreibt der Autor den Wandel wirtschaftlicher und außenpolitischer Interessen zu entwicklungspolitischer Solidarität und Zusammenarbeit.

Die Entwicklungszusammenarbeit stand stets in der Kritik: In Tansania hatte man Angst vor einer kapitalistischen bzw. kommunistischen Beeinflussung. Bestimmte Projekte zogen (neokoloniale) Abhängigkeiten nach sich, andere Vorhaben wurden nicht gut zu Ende geführt und verkamen zu Projektruinen. Außerdem wollte man als blockfreies Land nicht zwischen die Fronten des Kalten Krieges geraten. Gleichzeitig fehlte es nach der Unabhängigkeit 1961 auf dem tansanischen Festland bzw. 1964 auch auf Sansibar an einheimischen Expert*innen. Die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte sowie die Ausbildung von Tansanier*innen im Ausland waren zwei vielversprechende Problemlösungsstrategien.

Das Buch gibt einen tiefen Einblick in die entwicklungspolitische Szene der ersten dreißig Jahre nach der Unabhängigkeit Tansanias. Insbesondere lenkt es den Blick auf Berater*innen, Entwicklungshelfer*innen kirchlicher, politischer und wirtschaftlicher Institutionen, entsandte Fachkräfte (z.B. Ärzt*innen oder Lehrkräfte) und tansanische Studierende in DDR und BRD. Der Verfasser dokumentiert Beispiele interkultureller Begegnung und Lernprozesse ebenso wie Hierarchien und Probleme. Somit dürften viele HABARI-Leser*innen und Tanzania Network-Mitglieder, die selbst entsprechende Erfahrungen gemacht haben, Gefallen an diesem Werk finden. Für eine Dissertation ist die Sprache verständlich; es bleibt aber als geschichtswissenschaftliches Sachbuch kein lockeres Lesevergnügen. Da einzelne Fälle vertieft dargestellt werden, ziehen sich einige Kapitel in die Länge.

Nichtsdestotrotz: Aufgrund der zahlreichen Quellen gibt das Buch einen breiten Überblick und interessante, weiterführende Literaturhinweise. Geschickt verknüpft Eric Burton politische, geschichtliche und individuelle Dimensionen zu einem Netz jenseits von Vorurteilen und den starren Kategorien „Süd“, „West“ und „Ost“. Die Leser*innen werden über imposante 600 Seiten auf komplexe, dynamische Wechselbeziehungen in der entwicklungspolitischen deutsch-deutsch-tansanischen Zusammenarbeit aufmerksam gemacht.

Eric Burton, In Diensten des Afrikanischen Sozialismus, Tansania und die globale Entwicklungsarbeit der beiden deutschen Staaten 1961-1990, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston 2021, ISBN: 9783110705522 622 Seiten, 84,95€ - Online frei zugänglich unter: www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110705621/html

Rezension von Henriette Seydel, zuerst erschienen in HABARI 01/2023 "Dauerbrenner Müll – Sorge um die Entsorgung", S.85f.