Buchtipp: Abdulrazak Gurnah: Diebstahl
Henriette Seydel
Abdulrazak Gurnah: Diebstahl, Penguin Verlag, erschienen am 10. September 2025, ISBN 978-3-328-60438-9, 336 Seiten, 26,00 €, übersetzt von Eva Bonné
Wo komme ich her? Wer bin ich? Und wer will ich sein? Mit „Diebstahl“ legt Abdulrazak Gurnah einen weiteren eindringlichen Roman vor, der von Identität, Herkunft und Selbstfindung erzählt. Wie auch in seinen früheren Büchern wechselt der Literaturnobelpreisträger meisterhaft zwischen Zeiten, Orten und Perspektiven. Im Mittelpunkt stehen das Aufwachsen und Erwachsenwerden dreier Menschen, deren Lebenswege sich kreuzen: Bader, der als vom Land kommender Diener in Dar es Salaam zu Unrecht des titelgebenden Diebstahls angeklagt wird; Karim, ein begabter, charismatischer junger Mann; und Fauzia, eine selbstbewusste, kluge Frau, die ihren eigenen Weg sucht.
"Im Allgemeinen ist bemerkenswert zu sein recht schwierig." Dieses der Geschichte vorangestellte Zitat von Joseph Conrad deutet bereits an, worum es Gurnah geht: um ganz gewöhnliche Menschen wie Sie und mich – mit ihren Freuden, Sorgen, ihrem Schmerz und ihrer Liebe. Manche Themen sind so universell, dass der Roman ebenso gut in Deutschland spielen könnte: Verliebtsein, Begehren, Freundschaft, das schwierige Verhältnis zu den eigenen Eltern oder das Elternwerden. Dann wiederum verankern Religion, koloniale Prägung, kulturelle Sozialisation und gesellschaftliche Hierarchien die Geschichte fest im tansanischen Kontext.
Vielleicht ist der eine oder die andere Leserin abgeschreckt vom Label „Literaturnobelpreis“. Aber versprochen: Das Buch ist keine schwere Kost mit endlosen Schachtelsätzen und intellektuellem Kauderwelsch. Es ist nicht belehrend, nicht verkopft, sondern leichtfüßig erzählt – und gerade darin liegt seine Kraft. Das Lesevergnügen plätschert dahin, während man sich unmerklich mit den großen Fragen des Lebens auseinandersetzt. Was zunächst wie die Alltagserzählung dreier Tansanier*innen wirkt, entfaltet sich zu einer stillen Reflexion über das Menschsein zwischen Tradition und Moderne, Freiheit und Abhängigkeit.