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Bild Buchtipp des Monats - Nachleben/Afterlives von Abdulrazak Gurnah

Dieses Buch des afrikanischen Nobelpreisträgers für Literatur von 2021 wurde in den deutschen Medien besonders beachtet, da es entgegen seiner früheren Romane nicht nur die englische, sondern auch die davor liegende deutsche Kolonialzeit in Tansania schildert und im Schlussbericht bis an den Beginn des 2. Weltkriegs reicht.

Der Anfang des Buches wirft sogar einen kurzen Blick auf die vorkoloniale Zeit, deren Handel durch indische Händler aus Gujarat geprägt war, die ihre Karawanen von der Küste aus ins Inland schickten. Ausbeutung, Armut und schwierige Lebensbedingungen herrschten also nicht nur unter den kolonialen Regierungen, wenn es auch zu deren Zeit durch die streng durchgreifenden ausländischen Verwaltungen erstmals einen angreifbaren, fremden Gegner gab.

Die Aufstände des Bushiri, der Wahehe und zuletzt der Maji Maji Aufstand und deren unbarmherzige kompromisslose Niederschlagung durch die deutsche Schutztruppe, die Askaris, wird deutlich am Beispiel des späteren „Großvaters“ Khalifa geschildert, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Vor allem Frauen hatten unter der Herrschaft von erfolgreichen „Onkeln“ und den finanziellen Verlusten von weniger erfolgreichen Vätern zu leiden. Dadurch werden sie, wie Khalifas Braut Asha in arrangierten Ehen verheiratet, ohne dass nach ihren eigenen Vorlieben gefragt wird. Da der Roman eine Zeitspanne von mehr als 30 Jahren umfasst, 1907 – 1943, erlaubt Gurnah sich zu Anfang und Ende einen gerafften, chronistisch anmutenden Erzählton, bevor er in der Mitte in gewohnter Breite und mit seinem besonderen Einfühlungsvermögen die Verlobung und Ehe des Kriegsheimkehrers Hamza und seiner späteren Frau Afiya ausmalt.

Für alle, die sich schon gefragt haben mögen, wie es bei dem strengen Verschluss von Mädchen im Islam trotzdem zu Liebesheiraten kommen kann, sei die ebenso spannende wie vornehme Schilderung der Beziehung der Beiden empfohlen. Wenn Gurnah dann zum Schluss das Schicksal des älteren Ilyas im straffen Erzählton eines Zeitungsreporters zusammenfasst, fühlen sich die Leser*innen überrascht, vielleicht sogar überrollt – aber auch umso mehr beeindruckt.

Rezension von Dr. Christel Kiel. Sie lebte 14 Jahre in Tansania. Von 1986 bis 1999 teilte sich die Pastorin mit ihrem Mann Arnold eine Stelle in der Maasai-Mission und am theologischen College bei Moshi. Zuerst erschienen im HABARI "Wirtschaft" 04/2022, S. 82f.

»Gurnah erzählt verdammt großartige Geschichten. Die Sprache ist provozierend einfach, betont schnörkellos und unprätentiös, von einer so schlichten Schönheit, die sich nur jemand erlaubt, der sich nichts beweisen muss« (DIE ZEIT).

 

Und Rudolf Blauth, der langjährige Leiter der VHS Ahlen und Vorsitzender des Freundeskreis Bagamoyo e.V. empfiehlt das Buch ebenso: "Vom Literatur-Nobelpreisträger ist nach „Das verlorene Paradies“ und „Ferne Gestade“ jetzt das dritte deutschsprachige Buch „Nachleben“ neu erschienen. Die drei Hauptfiguren sind Ilyas, der schon als Kind von einem Soldaten der deutschen Kolonialtruppen zwangsrekrutiert wird, seine Schwester Afiya, die bei Verwandten als Sklavin gehalten wird, und Hamza, der von seinen Eltern als Kind verkauft worden ist und sich freiwillig den deutschen Truppen angeschlossen hatte. Während das Schicksal die drei jungen Menschen zusammenführt, während sie leben, sich verlieben und versuchen, das Vergangene zu vergessen, rückt aus Europa der nächste Weltkrieg bedrohlich näher." Buchtipp zuerst erschienen im Bagamoyo e.V. Newsletter, dann im HABARI "Wirtschaft" 04/2022, S. 84f.

Gelbes Cover mit Baum und Vogel vom Roman "Nachleben"Gelb-Blaues Cover vom Roman "Afterlives" mit Bild eines Askari

Englisch: AFTERLIVES, Bloomsbury Publishing, London 2021, ISBN: 978-1-5266-1589-3, 288 Seiten, 12,95€

Deutsch: NACHLEBEN, Penguin Verlag, München 2022, ISBN: 978-3-328-60259-0 381 Seiten, 26,00€